Im normalen Sprachgebrauch gibt es keine klare Abgrenzung zwischen den Begriffen Verantwortung und Verantwortlichkeit. Wir verwenden in unserer Selbstführung den Verantwortungsbegriff aus dem Responsibility Process, meinen also den mentalen Zustand VERANTWORTUNG.

Verantwortung ist Freiheit

VERANTWORTUNG ist der mentale Zustand, in dem wir unsere Fähigkeit und Stärke zu erschaffen, auszuwählen und anzuziehen wirklich in Besitz nehmen. Das bedeutet, dass wir in VERANTWORTUNG viele Optionen sehen und daraus Lösungen entwickeln, die eine echte nachhaltige Antwort auf unser Problem bieten.

Definition des mentalen Zustands VERANTWORTUNG nach The Responsibility Process®

Wir grenzen uns damit von einem Verantwortungsbegriff ab, der auf Moral („das Richtige tun“) oder Schuld („wer trägt denn hierfür die Verantwortung?“) hinausläuft. Zudem wird der mentale Zustand VERANTWORTUNG individuell für ein Problem erreicht und kann von einem Menschen nur selbst gewählt und nicht von außen gesetzt oder erzwungen werden. Es liegt in der individuellen Freiheit jedes Menschen, ein Problem in Besitz zu nehmen und dafür den mentalen Zustand VERANTWORTUNG zu wählen.

Verantwortlichkeit meint eine Zuständigkeit oder Erwartungsvereinbarung

Im Gegensatz zum mentalen Zustand VERANTWORTUNG gibt es Zuständigkeiten, die sich aus Vereinbarungen, Rollendefinitionen, Arbeitsverträgen, Zusagen, Commitments oder Prozessbeschreibungen ergeben. Wenn ich für etwas verantwortlich bin, also z.B. meiner Führungskraft das Erledigen einer Aufgabe zu einem Termin zugesagt habe, dann kann ich zur Rechenschaft gezogen werden, wenn ich mich nicht an diese Vereinbarung halte.

Im Idealfall hatte ich dabei eine Chance, zu dieser Verantwortlichkeit bewusst »Ja« (oder »Nein«) zu sagen. Manchmal kommen solche Zuständigkeiten aber auch in Paketen daher – z.B. über meine Rolle –, von denen uns nicht jeder Aspekt gefällt, aber das Gesamtpaket oder die aktuelle Situation dazu führt, dass wir die Verantwortlichkeit akzeptieren.

Vier mögliche Varianten

Die folgende Tabelle zeigt, welche vier Varianten entstehen können, je nachdem, ob ich für ein Problem die Verantwortlichkeit habe oder nicht, und ob ich außerdem zum selben Problem im mentalen Zustand VERANTWORTUNG bin oder nicht.

im mentalen Zustand Verantwortung 🗽✅nicht im mentalen Zustand Verantwortung 🗽❌
meine Verantwortlichkeit 🤝 ✅Prima, ich will und werde meiner Zuständigkeit mit Freude nachkommen.Lässt es sich vermeiden, kann ich es delegieren? Oder muss ich es machen, obwohl ich eigentlich nicht will?
nicht meine Verantwortlichkeit
🤝 ❌
Es ist zwar nicht mein Job, aber ich will das machen.Das geht mich nichts an, ich mache nichts (außer mich vielleicht über die zuständigen Personen oder die Umstände aufzuregen).
Die vier Kombinationen aus Zuständigkeit und dem mentalen Zustand VERANTWORTUNG (jeweils Ja/Nein)

Schauen wir uns diese vier Varianten etwas genauer an.

Es ist meine Verantwortlichkeit und ich bin im mentalen Zustand Verantwortung (🤝 ✅ +🗽✅)

Nehmen wir an, dass ich für die Durchführung eines Meetings zuständig bin. Manche Meeting-Teilnehmende reden gerne sehr lange in diesem Meeting, andere nervt das. Allerdings haben letztere das ersteren bisher noch nicht gesagt, sondern nur mir. Ich könnte aus dem mentalen Zustand VERANTWORTUNG jetzt unterschiedliche Reaktionen zeigen, hier drei Möglichkeiten:

  • Ich achte in meiner Moderation darauf, dass einzelne Teilnehmende nicht zu ausschweifend werden und wir im Meeting vorankommen.
  • Ich bitte die Genervten, dass sie den Ausschweifenden sagen, dass sie sich knappere Redebeiträge wünschen.
  • Ich spreche außerhalb des Meetings die beiden größten ausschweifenden Redner an und biete meine Unterstützung an, die Redebeiträge vorher bereits zusammenzufassen oder knapper auf den Punkt zu bringen.

Nicht jede dieser Optionen mag für mich aus meinen Lieblingstätigkeiten bestehen, aber durch meinen mentalen Zustand VERANTWORTUNG bin ich bereit, das Problem der Unzufriedenheit mit ausschweifenden Beiträgen zu adressieren und zu lösen. Mir ist auch bewusst, dass es dafür viele unterschiedliche Optionen gibt, aus denen ich mir eine passende heraussuche.

Es ist meine Verantwortlichkeit und ich bin nicht im mentalen Zustand Verantwortung (🤝 ✅ +🗽❌)

Ich bin für die Durchführung eines Meetings zuständig, in dem Teilnehmende ständig zu lange Redebeiträge haben, die uns nicht nach vorne bringen, sodass die Meetingzeit oft überzogen wird. Die meisten Teilnehmenden sind unzufrieden. Ich bin allerdings nicht im mentalen Zustand VERANTWORTUNG. Deshalb wird mir meine Kreativität nur in geringem Maße zur Verfügung stehen, und ich werde eine Bewältigungsstrategie anwenden. Wenn ich also von Genervten angesprochen werde, erkläre ich, dass es an den Ausschweifenden liegt und ich nichts dafür kann (in diesem Fall ist der mentale Zustand BESCHULDIGEN die Bewältigungsstrategie). Eine nützliche Änderung im Sinne eines wertvolleren und kürzeren Meetings wird das sehr wahrscheinlich nicht hervorrufen.

Es ist nicht meine Verantwortlichkeit und ich bin im mentalen Zustand Verantwortung (🤝 ❌ +🗽✅)

Ich nehme an einem Meeting teil, für dessen Moderation ich nicht verantwortlich bin. Einige Redebeiträge sind sehr ausschweifend und es sieht so aus, als ob das Meeting mal wieder länger dauert. Ich bin nicht der zuständige Moderator, aber ich nehme das Problem für mich in den mentalen Zustand VERANTWORTUNG. Was sind meine Optionen? Ich könnte jetzt

  • aufhören, mich zu ärgern, die Situation akzeptieren wie sie ist und so wie andere Teilnehmende meine E-Mails bearbeiten statt wirklich dabei zu sein,
  • aktiv werden, indem ich mich zu Wort melde oder den Ausschweifenden ins Wort falle und um kürzere Redebeiträge bitten oder
  • nach dem Meeting meine Kollegin Klara ansprechen, die für das Meeting verantwortlich ist, und sie für die Zukunft bitten, dass sie klarer moderiert; vielleicht biete ich ihr dafür sogar Unterstützung an.

Wir lösen aus dem mentalen Zustand VERANTWORTUNG primär unser eigenes Problem, hier mag es Ungeduld, Langeweile oder Termindruck sein. Ohne die explizite Zuständigkeit mag es in manchen Kontexten so sein, dass sich die zuständige Person überfahren fühlt und ein neues Problem entsteht. Allerdings muss uns das nicht davon abhalten, aus dem mentalen Zustand VERANTWORTUNG ins Handeln zu kommen.

Es ist nicht meine Verantwortlichkeit und ich bin nicht im mentalen Zustand Verantwortung (🤝 ❌ +🗽❌)

Ich nehme an einem Meeting teil, das mich nicht besonders interessiert. Ich bin nicht für das Meeting zuständig. Das Meeting läuft völlig aus dem Ruder, die Redebeiträge werden immer ausschweifender, es ist schon früh klar, dass hier überzogen wird. Aber ich fühle mich ja nicht zuständig, also mache ich nichts. Mache ich wirklich nichts? Naja, ich ärgere mich, aber das führt nicht zum Handeln. Ich denke vielleicht, dass uns (und auch mir selbst) unsere in der Unternehmenskultur tief verankerte übertriebene Höflichkeit im Wege steht – das klingt nach dem mentalen Zustand RECHTFERTIGEN als Bewältigungsstrategie. Die Situation wird sich, mindestens durch mich, nicht verändern.

Verantwortung = Responsibility, Verantwortlichkeit = Accountability

Der mentale Zustand VERANTWORTUNG stammt aus The Responsibility Process, entspricht also im Englischen dem mentalen Zustand RESPONSIBILITY, der ABILITY to RESPOND, also der Fähigkeit zu antworten. Auch im Deutschen steckt ANTWORT im Wort VERANTWORTUNG.

Verantwortlichkeit entspricht im Englischen Accountability, was dem „zur Rechenschaft ziehen“ nahe kommt, also mit Zuständigkeit und Verantwortlichkeit einhergeht.

Warum Verantwortlichkeiten so nützlich sind

Über den Abbau von Hierarchien zugunsten von mehr Selbstorganisation (was sich nicht grundsätzlich widersprechen müsste) ist die Klarheit von Zuständigkeiten etwas ins Hintertreffen geraten. Gleichzeitig hört man Beschwerden darüber, dass »empowerte« Mitarbeitende und Teams ihre Selbstorganisation gar nicht so in Besitz nehmen, wie man es sich von der Transformation versprochen hat. Das ist aus meiner Sicht leicht zu erklären: Unklarheit führt eher zu einem Vermeiden des mentalen Zustands VERANTWORTUNG. Deshalb ist das Klären von Verantwortlichkeiten so wichtig. Wenn ich weiß, was von mir erwartet wird, kann ich mich dazu verhalten und positionieren. Dann kenne ich auch die Person, mit der ich über diese Vereinbarung sprechen kann, falls ich Gefahr laufe, meiner Verantwortlichkeit nicht wie vereinbart nachkommen zu können. Andersherum versetzen mich klare Verantwortlichkeiten in die Lage, andere leichter »accountable« halten zu können, weil ich sie auf eine getroffene Vereinbarung ansprechen kann statt mich über das Nicht-Einhalten nicht explizit ausgesprochener Erwartungen zu ärgern.

Organisationen, die sich Exzellenz oder lebenslanges Lernen oder ein Growth Mindset auf die Fahnen schreiben, brauchen Menschen, die bereit sind, auch außerhalb ihres »Tanzbereichs« in VERANTWORTUNG zu gehen. Sonst machen alle nur Dienst nach Vorschrift – und wo es keine klaren Vorschriften gibt, wird eben nichts gemacht. Andersherum verhilft auch das ausschließliche Verlassen auf klare Verantwortlichkeiten nicht zu Exzellenz. Denn wir werden es nie schaffen, die Realität mit all ihren Eventualitäten und Überraschungen komplett in vereinbarten Zuständigkeiten abzubilden.

Es braucht also sowohl VERANTWORTUNG (🗽✅) als auch Verantwortlichkeit (🤝✅) in einer Organisation, die exzellente Produkte und Dienstleistungen anbieten möchte.

Wenn du mehr über die Abgrenzung von Verantwortung und Verantwortlichkeit erfahren und dich darüber austauschen willst, nimm gern an unserem Workshop Wirkungsvoll führen und coachen mit The Responsibility Process® teil.



Führe dich selbst zuerst!

Nadine und Henning Wolf, selbstführen W2 GmbH
Telefon: +49 4152 934 90 85, kontakt@selbstfuehren.de
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