Du hast gerade eine Retrospektive moderiert und bist zufrieden mit dir und dem Team. Das Zeitmanagement ist dir geglückt, es waren alle aufmerksam bei der Sache, die Maßnahmen sind vielversprechend, der Umgangston war freundlich, auch schwierige Punkte wurden angesprochen, und die Teilnehmenden haben sich in der Abschlussrunde dankbar und begeistert geäußert – alle, bis auf einen Kollegen! Der hat eine etwas herablassende und wenig wertschätzende Bemerkung zu dem Meeting gemacht.

Und diese Äußerung hängt dir nach! Du fühlst dich ungerecht behandelt, ärgerst dich über den Kollegen, und am Ende auch über dich selbst. Denn rational ist dir klar, dass so eine Einzelmeinung zu einem Meeting dich nicht so frustrieren und entmutigen müsste, aber das ist es, was du fühlst. Und nun graut dir schon vor der nächsten Moderation oder der nächsten Begegnung mit dem Kollegen.

Du fährst also gedanklich Fahrstuhl im Responsibility Process:
Ich muss einen anderen Umgang damit finden. Aber kann ich das? Ich bin wohl doch zu empfindlich! Aber mit sowas rechnet ja auch keiner, hier sind doch sonst immer alle so nett. Der blöde Kollege! Jetzt muss ich mir was einfallen lassen, damit er mich nicht als inkompetent abstempelt. Womit habe ich das verdient? Aber so ist es wohl als Scrum Master, dass man es nie allen recht machen kann.
Was jetzt?

Das Problem in Besitz nehmen

Du hast mein Mitgefühl, diese Gedankenschleifen und die entsprechende emotionale Aufregung kenne ich. Und ich glaube, dass es einen wichtigen ersten Schritt gibt, um zu einer wirkungsvollen Lösung zu kommen: Es gilt, das Problem für sich in Besitz zu nehmen. Mir hilft dafür oft, das Problem willkommen zu heißen, denn es ist eine Gelegenheit für mich zu wachsen und zu lernen. Ich akzeptiere, dass ich es in mein Leben eingeladen habe und es meins ist. Auf diese Weise muss ich nicht darauf warten, dass sich andere Menschen ändern (BESCHULDIGEN) oder sich die Umstände verändern (RECHTFERTIGEN). Und ich muss mich auch nicht verurteilen (SCHÄMEN) oder meinem erstbesten Gedanken folgen, der mir vorgibt, was ich jetzt zu tun habe (VERPFLICHTUNG). Stattdessen überlege ich mir, was ich will: Welche Reaktion möchte ich auf diesen Reiz zeigen? Was ist meine ABSICHT, jetzt, wo es ist wie es ist?

So kannst du Optionen generieren und dir eine Antwort aus dem mentalen Zustand VerANTWORTung überlegen.

Eine Antwort finden

Wenn du dein Problem in Besitz genommen hast, dann stehen dir sehr viele Optionen zur Verfügung. Eine davon vergesse ich regelmäßig, deshalb erwähne ich sie mal direkt zuerst: Du kannst dich entscheiden, das Gefühl, das dieses Problem begleitet, loszulassen. Denn es ist deine Entscheidung, dass du an der Aufregung und dem Ärger festhältst. Du könntest ihn gehen lassen (beispielsweise mit der Sedona-Methode, die du in dem Blogpost »Wer loslässt, hat die Hände frei« nachlesen kannst). Mir verschafft oft schon die Erkenntnis Erleichterung, dass ich diese Option habe. Selbst, wenn ich sie dann nicht nutze, weil ich doch lieber das Problem noch besser verstehen will und nicht nur eine Lösung in mir, sondern auch im Außen finden will.

Im Außen gibt es viele Optionen. Folgende Herangehensweisen fallen mir spontan ein:

  1. Du lässt deine Bewertung der Situation erstmal beiseite und willst stattdessen besser verstehen, was dein Kollege mit seiner Reaktion bezweckt hat, also sprichst du ihn an und fragst ihn, was er sich von der Retro eigentlich versprochen hatte.
  2. Du hast die Annahme, dass sich der Kollege nicht ausreichend gesehen fühlt. In den nächsten Wochen möchtest du drauf achten, ihm für seine Arbeit und sein Engagement zu danken, wenn du ihn triffst.
  3. Du fragst in der nächsten Scrum-Master-Runde mal die Kolleginnen und Kollegen, wie sie mit solchen Situationen umgehen.
  4. Du entdeckst beim Erforschen des Problems den Glaubenssatz »Ich muss es immer allen recht machen«. Dir wird klar: Solange dieser Glaubenssatz in dir wirkt, werden sich solche Situationen unangenehm anfühlen. Also transformierst du diesen Satz (siehe Blogpost »Der Glaube an die eigene Kraft«) und implementierst den nützlicheren Glaubenssatz »Ich kann mit allen Reaktionen umgehen«.

Insbesondere der letzte Punkt ergibt sich vermutlich erst aus dem tieferen Verständnis des Problems. Das bedeutet, dass das Erforschen des Problems der erste Schritt ist. Das kann anhand von Fragen wie diesen passieren:

  • Was möchte ich erreichen?
  • Mit wem könnte ich reden, um Perspektiven zu gewinnen?
  • Was genau triggert mich eigentlich so? Was steckt dahinter?
  • Was wäre der kleinste und was der größte Schritt, den ich machen könnte?
  • Wie fühle ich mich jetzt und wie möchte ich mich zukünftig in so einer Situation fühlen?
  • Welcher Glaubenssatz verursacht meinen Ärger? Welcher würde mir Stärke verleihen?

Über die Antworten erreichst du Klarheit, die dich wieder handlungsfähig macht – und nach meiner Erfahrung auch das unangenehme Gefühl entkräftet. Dir gefällt wahrscheinlich immer noch nicht, was passiert ist, aber es löst nicht mehr dieselben starken lähmenden Emotionen aus.

Die Stärke, die aus deiner Klarheit erwächst, macht dich frei und wieder handlungsfähig. Ich bin davon überzeugt, dass dir das gelingen kann! Vielleicht bin ich mit dieser Meinung noch alleine, aber wenn dich Einzelmeinungen entmutigen können, können sie dich ja vielleicht auch ermutigen!

In unserer Podcast-Folge »Klarheit gewinnen« kannst du dir ab Minute 19:11 anhören, wie Henning mir beim Erforschen dieses Problems behilflich ist.



Führe dich selbst zuerst!

Nadine und Henning Wolf, selbstführen W2 GmbH
Telefon: +49 4152 934 90 85, kontakt@selbstfuehren.de
www.selbstfuehren.de

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