The Power Or Control Process® beschreibt zwei alternative Wege, wie Menschen mit Problemen umgehen. (Übrigens: Auf YouTube kannst du dir einen Vortrag von mir dazu ansehen – Probleme mit Stärke statt Kontrolle lösen.)

Beginnen wir mit einem Beispiel: Ich bin um 8:00 Uhr in einem Meeting mit meinem Team verabredet. Alle sind da, nur Markus glänzt mit Abwesenheit. Wir unterhalten uns noch ein wenig und tauschen Privates aus. Es wird 8:02 Uhr, und in mir steigt Ärger auf, denn Markus ist immer noch nicht da.
Wie gehe ich mit dem Problem um, dass ich nicht habe, was ich will (Markus nicht da), und dass in mir Gefühle hochkommen, die ich lieber nicht fühlen würde (Ärger, Frust, Ohnmacht)? Ich habe die Wahl zwischen Kontrolle oder Stärke. Wenn ich nicht weiter drüber nachdenke, wird wahrscheinlich Kontrolle gewinnen.

Szenario Kontrolle

Ich will diese Situation bzw. die dadurch entstandenen unangenehmen Gefühle wieder unter Kontrolle bringen. Ich nehme eine Bewertung vor und stelle fest: Zu einem zugesagten Termin nicht pünktlich zu erscheinen, ist schlecht. Das sollte es in der Welt nicht geben. Markus verhält sich falsch.

Was macht man nun, wenn jemand so etwas Falsches macht? Ich gebe mir selber den Rat, dass man Zuspätkommer wohl am besten abstraft, beispielsweise indem sie fünf Euro in unser Team-Sparschwein einwerfen. Das scheint mir eine gute Idee, ich merke wie das Gefühl von Ärger schon schwächer wird. Ich muss jetzt nur noch darauf achten, dass diese neue Regel in Kraft gesetzt wird und sie von allen eingehalten wird. Das kontrolliere ich dann in Zukunft.

Szenario Stärke

Ich will stark und wirkungsvoll reagieren. Nichtsdestotrotz ärgere ich mich. Doch Dank meiner Stärke kann ich diesen Ärger aushalten und gleichzeitig die Situation erforschen, sodass ich das Problem hinter dem Problem wirklich verstehe.

Ich kann mich also fragen, warum mich die Situation so ärgert: Ist mein Wert von Ordnung und Respekt verletzt? Hatte ich vielleicht die Erwartung, dass wir heute endlich mal alle da sind und gemeinsam Entscheidungen treffen. Fällt es mir schwer, mit dieser Enttäuschung umzugehen? Wie geht es denn den anderen damit, dass Markus fehlt? Sind wir nicht auch so handlungs- und entscheidungsfähig? Wir gewinnen die gemeinsame Klarheit, dass wir auch ohne Markus loslegen können. Ich vertraue darauf, dass ich Markus im Anschluss wiedergeben kann, was wir warum beschlossen haben, und ihn mit ins Boot hole. Cool, welche Stärke darin liegt, nach dem Erforschen so eine neue Klarheit zu haben. Jetzt bemerke ich, dass unterwegs irgendwo auch mein Ärger verflogen ist.

Kontrolle oder Stärke

Beide Szenarien sind denkbar. Das Szenario der Stärke spannt wohl einen nützlicheren Lösungsraum auf. Die meisten Menschen entscheiden sich trotzdem schnell und ohne große Überlegung in den meisten Situationen für das Szenario Kontrolle. Das ist menschlich verständlich, denn es adressiert direkter und schneller die unangenehmen Gefühle, die wir möglichst schnell wieder loswerden wollen. Der Preis dafür ist eine Lösung, die nach immer mehr Kontrolle verlangt und selten nachhaltig ist.

Schauen wir uns die beiden Dynamiken noch etwas genauer an.

Control Cycle

Der Control Cycle startet mit dem Impuls, dass wir Kontrolle über das Problem und vor allem über die dadurch ausgelösten Gefühle gewinnen müssten. Dazu wird das Problem einer schnellen Bewertung unterzogen, d. h. einer Einordnung in gut/schlecht oder falsch/richtig.

Das Ergebnis dieser Einordnung dürfte in der Regel auf schlecht/falsch hinauslaufen. Wir denken, dass die Welt so nicht sein sollte, dass etwas verkehrt ist. Deshalb suchen wir möglichst schnell nach Rat. Bei uns oder bei anderen werden wir meist schnell fündig, freuen uns über den Ratschlag und fühlen bereits eine gewisse Erleichterung, denn der Rat muss jetzt nur noch befolgt werden und schon ist das Problem bewältigt. Deshalb braucht es nun Regeltreue. Der in eine Regel gegossene Rat wird überwacht und führt so erneut zu einem Kontrollbedürfnis, denn wir haben allen bisherigen Regeln eine neue hinzugefügt. In diesem Sinne ist der Control Cycle ein sich selbst verstärkender Kreislauf. Je öfter wir ihn durchlaufen, umso mehr fühlen wir uns in der Notwendigkeit bestärkt, dass es Kontrolle braucht, um Problemen entgegenzuwirken.

Power Cycle

Im Gegensatz dazu begegnen wir im Power Cycle dem Problem mit einem Grundgefühl von Stärke. Im besten Fall fühlen wir uns so kraftvoll, dass wir trotz des vom Problem ausgelösten unangenehmen Gefühls wissen, dass wir stark genug sind, damit fertig zu werden und sogar eine passende Antwort zu finden.

Auf der Suche nach dieser Antwort begeben wir uns ins Erforschen. Dabei gilt es, das unangenehme Gefühl noch etwas auszuhalten und zu schauen, was das Problem eigentlich ausmacht, woher es kommt, wie wir es für uns erzeugt haben, warum das Problem für uns ein Problem ist, und was wir uns in der Situation eigentlich wünschen. Es geht also nicht primär um ein Erforschen der Lösung, sondern vor allem um ein Erforschen des Problems mit all seinen Facetten. Das wird erfahrungsgemäß eine Weile dauern (und nicht so schnell gehen wie das Bewerten im Control Cycle). Es lohnt sich aber, denn das Ergebnis ist eine neu gewonnene Klarheit. In dieser Klarheit kann konkret eine Lösung liegen oder aber „nur“ die Erkenntnis, wie das Problem entstanden ist (und warum es vielleicht gar kein Problem ist, das wir unbedingt loswerden müssten). Mit dieser Klarheit stellt sich Vertrauen ein: Vertrauen in die eigene Kompetenz, Stärke und Wirkmacht, Vertrauen darauf, dass eine Lösung für bzw. Antwort auf das Problem gefunden wird. Dieses Vertrauen befeuert wieder unsere Stärke, sodass auch der Power Cycle ein sich selbst verstärkender Kreislauf ist. Je häufiger wir ihn durchlaufen, um so größer und kräftiger ist unsere Stärke, uns unseren Problemen wirklich zu stellen.

Die Wahl von Stärke oder Kontrolle

Zugegebenermaßen fühlt es sich nicht immer so an, aber: Wir haben immer eine Wahl, ob wir uns für Stärke oder Kontrolle entscheiden. Wir sind als Menschen in der Lage, beide Kreisläufe zur Problemlösung zu nutzen. Meistens folgen wir unserem Kontroll-Impuls, weil wir das unangenehme Gefühl, das mit dem Problem einhergeht, so schnell wie möglich loswerden wollen. Das leistet der Kontroll-Weg eben schneller. Und je öfter wir ihn gehen, umso mehr fühlen wir uns bestärkt darin, dass wir der Welt der Probleme mit Kontrolle begegnen müssen. Es ist ein Bewältigungsmechanismus, der wenig kreative und selten nachhaltige Lösungen erzeugt.

Wir können aber daraus aussteigen, uns unserer Stärke bewusst werden, das unangenehme Gefühl etwas länger aushalten und unsere Problem erforschen bis wir neue Klarheit gewonnen haben und Vertrauen fassen können in uns und andere. Das macht uns immer stärker und lässt uns in Zukunft immer häufiger den Weg der Stärke zur Problemlösung gehen. Dabei entstehen kreativere und großartigere Lösungen, die für uns und unser Umfeld wirkungsvoller und nachhaltiger sind.

Wenn du häufiger den Power Cycle wählen und damit mehr Stärke, Kreativität und Optionen erleben möchtest, dann investiere in deine Selbstführung. Der beste uns dafür bekannte Weg ist der Intensivkurs Responsibility, in dem du mehr zu The Power Or Control Process lernst und wie du deine Stärke immer öfter und routinierter für dich in Besitz nehmen kannst. Alternativ steht dir unser Workshop Probleme lösen mit dem Power Or Control Process zur Verfügung.

Falls du im Englisch-sprachigen Originalmaterial nachlesen willst: Bill McCarly hat einen Blogpost zu The Power Or Control Model geschrieben, Christopher Avery je einen Blogpost zum Power Cycle und Control Cycle verfasst. Im Buch zum Responsibility Process taucht The Power or Control Process übrigens nicht auf. Abgesehen vom Material im Intensivkurs Responsibility (oder Responsibility Immersion bei Christopher) gibt es zurzeit keine Vertiefung dazu in schriftlicher Form. Sprich uns aber gern an, wenn du mehr wissen willst.



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Nadine und Henning Wolf, selbstführen W2 GmbH
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