Wenn wir in unseren Responsibility-Workshops die reine Selbstführungsebene verlassen und uns der Frage widmen, wie denn nun Verantwortung im Zusammenspiel mit anderen funktioniert, landen wir in den allermeisten Fällen bei einem Thema, das alle Teilnehmenden aus ihren Organisationen kennen: „Toleritis“. Gemeint ist: Verhalten, das Vereinbarungen oder der angestrebten Organisationskultur widerspricht, wird toleriert, d.h. es wird nichts unternommen, um es zu thematisieren. Dass das so in Organisationen gelebt wird, bestätigen uns Menschen aus agilen wie klassischen, aus hierarchischen wie flach organisierten Unternehmen. Der Nichteinhaltung von Regeln oder Vereinbarungen folgen keine Konsequenzen.

Die Frage nach dem Warum führt direkt zurück zur Selbstführungsebene: Die Leadership-Aufgabe Konsequenzen ausliefern, konfrontiert mich mit meiner tief verwurzelten menschlichen Programmierung:

  • „Ich will es hier doch eigentlich harmonisch haben.“
  • „Das ist bestimmt nur aus Versehen passiert, da will ich jetzt kein Aufhebens drum machen. Am Ende habe ich was übersehen und stehe dann blöd da.“
  • „Immer muss ich die Meckerziege sein. Dabei will ich doch gemocht werden.“

Nachvollziehbar und verständlich. Doch der Preis des ständigen Tolerierens ist hoch: Vereinbarungen, Prozesse oder Rollenbeschreibungen werden nicht ernst genommen; kaum jemand hat noch Lust, an deren Gestaltung und Verbesserung mitzuarbeiten. Außerdem treten die erhofften Effekte neuer Vereinbarungen nicht ein, weil sich die wenigsten dran halten. Und wahrscheinlich der bedeutendste Effekt: Leader sind enttäuscht von ihren Mitarbeitenden, die Mitarbeitenden sind enttäuscht von ihren Führungskräften – es herrscht wenig Vertrauen ineinander und in das System.

Die spannenden Fragen sind nun:

1. Wie lasse ich das Tolerieren sein?

2. Was tu ich stattdessen?

3. Was lässt sich dadurch gewinnen?

1. Wie lasse ich das Tolerieren sein?

Die Frage, wie ich das Tolerieren sein lasse, führt mich zu den drei Schlüsseln zu Verantwortung: Zuerst mache ich mir klar, dass ich aus meiner typischen Reaktion des Tolerierens heraus will (ABSICHT). Dann fange ich an, mich zu beobachten, um überhaupt erstmal Situationen, in denen ich toleriere, zu erwischen und zu verstehen, was mich dazu bewegt (AUFMERKSAMKEIT). Und dann blicke ich der Wahrheit ins Gesicht (SICH STELLEN), dass diese Beweggründe Kraft auf mich ausüben, dass mein neues Verhalten ungewohnt, vielleicht sogar unangenehm ist und ich Energie und Mut aufbringen muss, um es zu meinem neuen Programm werden zu lassen. Dafür trainiere ich meinen SICH-STELLEN-Muskel und schaue mir meine Glaubenssätze genauer an, die mich dazu verleiten, keine Konsequenzen auszuliefern.

2. Was tue ich stattdessen?

Kooperieren statt tolerieren! Dafür spreche ich bei neuen oder bestehenden Vereinbarungen über das, was passieren soll, wenn jemand (aus welchen Gründen auch immer) von der Vereinbarung abweicht. Das vorher gemeinsam zu antizipieren und die Vereinbarung darum zu erweitern, dass „wir reden, wenn wir unser Verhalten von der Vereinbarung abweicht“, verändert die Situation: Ich bin nicht die „Meckerziege“ oder der ständige Nörgler, sondern wir leben gemeinsam unsere Vereinbarung und unterstützen uns gegenseitig darin, konsequent zu sein.

3. Was lässt sich dadurch gewinnen?

Durch dieses Vorgehen erarbeitet man sich kooperativ Vertrauen. Denn Vertrauen lässt sich nicht einfach anknipsen, doch Vereinbarungen unterstützen beim Vertrauensaufbau: Wenn wir etwas vereinbaren und wir halten uns dran, wächst das Vertrauen in die Verlässlichkeit. So sind mit der Zeit immer größere Vereinbarungen möglich. Was gewinne ich, wenn ich als Leader Vertrauen in meiner Organisation wachsen lasse? Ich werde bei Problemen eingebunden und ins Vertrauen gezogen, sodass ich leichter meiner Führungsaufgabe nachkommen kann; ich bringe echtes Verständnis auf für meine Mitarbeitenden, was wechselseitigen Respekt fördert und dazu führt, dass alle sich wieder mehr vertrauen und sich zumuten mögen, wodurch wertvolle Perspektiven und Optionen beigesteuert werden, die die Produkte und Services besser machen.

Ich glaube, dass es Organisation schon einen deutlichen Schritt nach vorne bringen würde, wenn alle in ihr arbeitenden Menschen nur einmal pro Woche die Nicht-Einhaltung (kann gern die eigene sein) einer expliziten Vereinbarung zum Thema machen würden, damit Vereinbarungen wieder Ernsthaftigkeit und damit Wirkung bekommen können.

Du glaubst, du schaffst das (noch) nicht allein? Ich glaube, doch! Gern kooperiere ich mit dir! Vereinbaren wir doch einen Termin zum Reden.



Führe dich selbst zuerst!

Nadine und Henning Wolf, selbstführen W2 GmbH
Telefon: +49 4152 934 90 85, kontakt@selbstfuehren.de
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