„Ich muss mich fokussieren!“ Diesen Satz sage ich mir oft in Situationen, in denen ich mich ob der Menge an anstehenden Aufgaben überfordert fühle oder in denen ich unter hohem Zeitdruck stehe. Als Kanban-Fan weiß ich ja, dass Multitasking mich langsam macht und eine Konzentration auf wenige Aufgaben mehr Fluss erzeugt. Das WIP-Limit auf 1 zu setzen (EINE Aufgabe als work in progress) klingt also clever in solch einer Situation. Leider heißt das nicht automatisch, dass es mir auch gelingt, diesen Fokus herzustellen und zu halten. Und damit sind wir direkt wieder beim Thema Selbstführung. Also werfe ich im Folgenden einen Blick auf Fokus durch die Brille des Responsibility Process und der drei Schlüssel zu Verantwortung (Links zu Blogbeiträgen, falls du gern Erläuterung hättest).

Will ich Fokus?

Das Wörtchen „muss“ in dem Satz „Ich muss mich fokussieren!“ kann ein Hinweis darauf sein, dass ich mich in der Situation im mentalen Zustand VERPFLICHTUNG befinde, d. h. ich empfinde Fokus gerade als alternativlose Lösung für mein Problem und als Lösung, die ich eigentlich nicht will. Ich sehe aber keine anderen Optionen, also muss ich das so machen. Erfahrungsgemäß funktioniert das für mich nur mäßig. Für eine kleine Weile ist das okay, aber wenn ich Fokus nur über einen ständigen Kampf mit dem inneren Schweinehund halten kann, dann ist die Erfolgsaussicht eher gering, und es wird mich spürbar Energie kosten, das durchzuziehen.

Also benutze ich den ersten Schlüssel zu Verantwortung ABSICHT: Was will ich? Diese Frage macht den Optionen-Raum auf. Neben „fokussiert an dieser einen Aufgabe arbeiten bis sie fertig ist“ könnte ich auch auf andere Gedanken kommen:

  • Ich will die Aufgabe nicht alleine machen, also suche ich mir Unterstützung.
  • Ich brauche eine Umarmung und ermutigende Worte meines Mannes, dann fühle ich mich wieder stark genug.
  • Fokus heißt, dass ich andere Aufgaben vernachlässige. Das will ich aber nicht!
  • Irgendwas fühlt sich hier nicht richtig an, also brauche ich jetzt eher Offenheit als Fokus, um mir meine Lage aus der Hubschrauberperspektive anzuschauen.

Mit der Frage nach der Absicht fangen wir oft schon an, das Problem hinter dem Problem besser zu verstehen, was auf eine erfolgreiche und nachhaltige Lösung einzahlt. Wenn ich aber tatsächlich bei der Erkenntnis lande, dass Fokus die Lösung ist, die ich will, stellt sich die nächste Frage:

Auf was will ich mich konzentrieren?

Was genau ist nun mein Fokus? Klarheit darüber lohnt sich, um auch fokussiert zu bleiben. An dieser Stelle gibt es wieder unterschiedliche Möglichkeiten:

  • Fokus aufs Ziel: Ich will etwas unbedingt fertig haben und komplett abschließen, also akzeptiere ich eventuell auftretende unangenehme Konsequenzen wie das Nein sagen zu allem anderen.
  • Fokus aufs Ergebnis: Ich kann das gewünschte Resultat genau benennen, aber beim Weg (also wie ich das Ergebnis erziele) bleibe ich offen.
  • Fokus auf den Weg: Das Ziel ist ambitioniert und noch weit weg, also will ich mich auf dem Weg vor allem auf Freude beim Gehen und den Einsatz meiner Stärken fokussieren.
  • Zeitlicher Fokus: Für bestimmte Zeiträume konzentriere ich mich nur auf die eine Sache, außerhalb dieser Zeiträume ist mein Blick offener.

Die Beschäftigung mit dieser Frage verschafft mir oft noch mehr Klarheit bezüglich des Problems, was mich wiederum in meiner ABSICHT bestärkt. Diesen Effekt mache ich mir im Folgenden zunutze, denn wenn ich klar weiß, was ich will, fällt es mir leichter, MICH einer der unangenehmen Seiten von Fokus zu STELLEN:

Was lasse ich sein?

Meine Energie und meine Konzentrationsfähigkeit sind endlich – diese Realität gefällt mir nicht immer, aber sie zu akzeptieren, hilft mir, um bewusst Aufgaben oder Ziele sein zu lassen. Fokus entsteht nicht nur durch die Entscheidung, auf was ich den Blick lenke, sondern auch dadurch, dass ich entscheide, welche Dinge oder Themen mir nicht ins Blickfeld geraten und ablenken. Auch hier hilft mir eine bewusste Entscheidung gegen Themen, wobei das ja meistens ein „Nicht jetzt“ und kein „Nie“ ist. Deshalb arbeite ich so gern mit einem physikalischen Personal-Kanban-Board (wenn du mehr über Personal Kanban erfahren willst, hier geht’s zu meinem Blogbeitrag Personal Kanban für deine erfolgreiche Selbstführung), weil ich da die To-dos, die jetzt nicht dran sind, einerseits aufschreibe und so aus meinem Kopf bekomme und andererseits tatsächlich durch Zuklappen des Boards oder Stapeln der Zettel aus meinem Sichtfeld nehme. Das finde ich immer wieder einen sehr befreienden Akt. Und er hilft wieder beim Schärfen der Fokus-Absicht: Beim Sortieren der übrigen spannenden Themen wird mir ggf. deutlich, dass mein angedachter Fokus vielleicht doch nicht das Wichtigste ist, das ich jetzt tun will. Was für eine nützliche Entdeckung! Gleichzeitig führt sie möglicherweise zur nächsten spannenden Frage:

Fehlt mir Orientierung?

Wenn es mir schwer fällt, Fokus zu setzen und zu entscheiden, was wichtig und was weniger wichtig ist, kann das für mich ein Hinweis darauf sein, dass mir gerade die Orientierung fehlt. Doch wie kann ich Orientierung herstellen? Dafür habe ich unterschiedliche Ansätze:

  • Ich rede mit Beteiligten. Wir müssen nämlich gar nicht allein zu jeder Klarheit kommen! Wenn du in deinem Job gerade orientierungslos bist, sprich mit deiner Vorgesetzten, deinem Team, deinem Mentor, deiner Mitarbeiterin. Entweder um konkret nach Priorisierung zu fragen oder um für dich ein klareres Bild deiner Situation zu bekommen.
  • Ich mache mir die Rolle klar, in der ich diesen Fokus setze. Um Struktur in die Vielzahl an Aufgaben zu bringen, die wir alle oft so einsammeln, lohnt sich ein Blick darauf, zu „welchem Hut“ das Ziel gehört (mehr dazu im Blogpost Zeigt her eure Hüte). Will ich hier gerade etwas in meiner Rolle als Geschäftsführerin oder als Mentorin oder als Ehefrau oder als Kollegin? Daraus ergibt sich entweder direkt die Richtung oder ein Hinweis darauf, wo das Orientierungsproblem liegt und mit wem ich darüber sprechen kann.
  • Ich schaue mir meine Grundwerte im Leben an: Wer will ich sein? Was ist mir als Mensch wichtig im Leben? (Weitere Ideen dazu im Blogpost Woher soll ich wissen, was ich will?.) Alle paar Jahre schaue ich mir diese Fragen an, um sozusagen meinen „Langzeit-Fokus“ oder meine Lebensziele nicht aus den Augen zu verlieren. Da kommen meistens sieben bis zehn Werte heraus, die ich explizit aufschreibe und mir vergegenwärtige. Bei Entscheidungen, die mir schwer fallen, hilft mir dann ein Abgleich mit meinen Werten. Ich überprüfe. ob mein angedachter Fokus auf mindestens einen meiner wichtigsten Werte einzahlt.

Wenn du gerade weder Zeit noch Kraft für Meta-Betrachtungen oder Gespräche hast, aber dir von der Fokus-Dynamik viel versprichst: Würfle ein Fokus-Thema aus und fang an. Irgendwann hilft Grübeln nicht mehr, dann entsteht höchstwahrscheinlich übers Machen mehr Klarheit – egal bei welchem Thema du startest. Insbesondere, wenn du dann einen zeitlichen Fokus setzt, ist das Risiko lange in die „völlig falsche Richtung“ zu rennen, sehr klein.

Manchmal hilft schlicht eine Konkretisierung, um sich wieder zu orientieren: Ich bemerke mitunter, dass bestimmte Aufgaben so groß und abstrakt sind, dass ich einfach nicht weiß, was konkret dahinter steckt oder wo ich anfangen kann. Dann schneide ich es kleiner und frage mich, was ein erster konkreter Schritt sein könnte, um sich dem Ziel zu nähern. Wenn wir ins Tun kommen wollen, brauchen wir es konkret und überschaubar.

Wenn man die eigene Orientierungslosigkeit entdeckt, ist das ein unangenehmes Gefühl. Ich lande dann bevorzugt im mentalen Zustand SCHÄMEN, in dem sehr wenig Handlungsenergie entsteht oder in VERPFLICHTUNG, was auch nicht ideal für Fokus ist, wie du eingangs schon gelesen hast. Um sich durch dieses unangenehme Gefühl nicht vom weiteren Erforschen und Wachsen abhalten zu lassen, braucht es den „SICH-STELLEN-Muskel“, also vor allem die Bereitschaft, den dritten Schlüssel zu Verantwortung anzuwenden.

Was muss ich mich stellen?

Das Wörtchen muss ist an dieser Stelle kausal gemeint: „Was muss ich mich stellen, um Fokus zu erreichen?“ Hier landen wir zugegebenermaßen in der höheren Schule von Selbstreflexion und Selbstführung. Jetzt gilt es, Gegenabsichten zu entlarven und Glaubenssätze zu entdecken, die mal wertvoll für uns waren und nun ihre Nützlichkeit eingebüßt haben. Wenn du in dieser Selbstführungsarbeit noch nicht viel Erfahrung hast oder es dir leichter machen willst, bitte Coaches um Unterstützung. Diese „dunklen Ecken“ bei sich zu beleuchten und konstruktive Schritte für den Umgang zu finden, ist am Anfang herausfordernd und ungewohnt.

Hier ein paar Beispiele, was uns hindern kann, Fokus herzustellen:

  • FOMO (fear of missing out): Ich befürchte, etwas zu verpassen, wenn ich alles andere für den Fokus ausblende; diese Angst lässt mich vor einem 100%-Commitment auf den Fokus zurückschrecken.
  • Angst vorm Scheitern: Der Gedanke, dass das Fokus-Thema zum Misserfolg wird, verhindert ein Gefühl von Stärke, Klarheit und Handlungsfähigkeit.
  • Angst vor Ablehnung: Das Bedürfnis von allen gemocht werden zu wollen steht unserer Absicht im Weg, zu Themen Nein zu sagen und dadurch eventuell anderer Menschen Erwartungen zu enttäuschen.
  • „Ich genüge nicht“: Dieser Glaubenssatz behindert uns generell gern mal, und bei großen Projekten, auf die ich durch Fokus einen besonderen Schwerpunkt lege, kann er besonders unangenehme Emotionen hervorrufen und ggf. die Angst vorm Scheitern noch füttern.

Auch wenn ich bewusst die Formulierung Was muss ich mich stellen? gewählt habe, ist es an dieser Stelle lohnenswert sie umzuformulieren in Was will ich mich stellen? Denn mein Fokus-Vorhaben kann eine wunderbare Gelegenheit zum Wachsen sein: Ich bin bereit zu einem 100%-Commitment auf mein Thema, also will ich mich meiner Angst vor Ablehnung stellen. Das bedeutet, dass ich diese Angst wahrnehme, wenn sie auftaucht, und zwar möglichst wohlwollend! Das ist menschlich, nichts ist verkehrt mit mir, weil ich diese Angst habe. Sie darf da sein, ich habe Mitgefühl mit mir selbst, ich halte sie aus, lerne sie besser kennen und mache trotz und mit Angst weiter, weil ich von meinem Fokus-Thema überzeugt bin und es mir entsprechend Kraft und Mut verleiht.

Fokus-Fazit

Es gibt Fallstricke auf dem Weg zu erfolgreichem Fokus, doch mittels der fünf Fragen

  1. Will ich Fokus?
  2. Auf was?
  3. Was lasse ich sein?
  4. Fehlt mir Orientierung?
  5. Was muss ich mich stellen?

hast du eine Idee an der Hand, mit der du einen wirkungsvollen Umgang damit findest.

Melde dich gern bei mir, wenn du in einen fokussierten Austausch dazu einsteigen möchtest.

Wenn du insbesondere bei Frage 5 steckenbleibst: Das effektivste Trainingsprogramm für den SICH-STELLEN-Muskel, das ich kenne, ist der Intensivkurs Responsibility.



Führe dich selbst zuerst!

Nadine und Henning Wolf, selbstführen W2 GmbH
Telefon: +49 4152 934 90 85, kontakt@selbstfuehren.de
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