Stressen dich Lebensziele?

Vor einigen Jahren in einem Zeitmanagement-Seminar wurde mir die Frage nach meinen Lebenszielen gestellt. Darüber hatte ich zu dem Zeitpunkt noch nie konkret nachgedacht – und ich dachte sofort, dass etwas mit mir verkehrt ist und ich ganz schnell und dringend Lebensziele brauche. Die Frage hat also Stress und Druck erzeugt, was mich der Antwort natürlich kein bisschen näher gebracht hat.

Nachdem ich das erkannt hatte, habe ich mich auf den Weg gemacht, mit Neugier, Freude und Offenheit ein Stück mehr Klarheit zu bekommen. Heute habe ich noch immer keine direkte und deutliche Antwort parat, doch es stresst mich nicht mehr, denn ich bin zufrieden mit meiner Näherung und verspüre selten Mangel an Richtung in meinem Leben. Und wenn ich mich doch mal ziellos fühle, weiß ich mir schnell zu helfen, weil ich mich gut kenne und viele unterschiedliche Werkzeuge zur Hand habe, die ich nutzen kann. Nützlich finde ich für diese Langzeitplanung den Hinweis, dass die meisten Menschen überschätzen, was sie an einem Tag tun können und unterschätzen, was sie innerhalb von ein paar Jahren erreichen können. Letzteres gelingt mir bewusster und effektiver, wenn ich meine langfristigen Vorhaben explizit mache, sie mir regelmäßig vor Augen führe und checke, ob ich noch auf einem passenden Weg bin.

Langzeitplanung in drei Schritten

Ich gehe für meine Langzeitplanung gern in drei Schritten vor:

  1. Optionen generieren
  2. Optionen auswählen
  3. Optionen konkretisieren und mit der Umsetzung starten

Dafür gibt es viele verschiedene Ansätze, im Folgenden teile ich meine Lieblingsmethoden für jeden der drei Schritte. Sie sind kombinierbar, sodass ich jedesmal für neue Impulse sorgen kann. Suche dir das aus, was dich anspricht. Es darf leicht und spielerisch sein – sich so mit sich und seinen Zielen auseinanderzusetzen ist eh schon ein ganzes Stück geistiger Arbeit, also bemühe ich mich immer, so viel Druck wie möglich herauszunehmen.

1. Optionen generieren

Wenn du dich fragst, was überhaupt so eine langfristige Option sein kann, findest du hier ein paar Beispiele, die zeigen, wie unterschiedlich konkret und umfangreich Optionen sein können:

  • mich selbstständig machen
  • 15 kg abnehmen
  • ein Buch schreiben
  • mehr Zeit mit Zeichnen und Malen verbringen
  • freudvollere Wochenenden mit der Familie gestalten
  • an finanzieller Freiheit arbeiten

Mit folgenden Fragestellungen generiere ich gern Optionen für mich:

Rückblick als Ausblick

Was hat mir im letzten Jahr viel Freude gemacht? Was ist mir gut gelungen? Was hat mir gefehlt? Wovon will ich mehr? Worauf möchte ich auf keinen Fall verzichten?

Haben, Sein, Tun

Was will ich haben/besitzen? Wer will ich sein? Was will ich tun/gestalten? Wie beeinflusst sich das wechselseitig?

1, 3, 5, 10 (Jahre)

Wo will ich in einem Jahr sein? Wie soll ein Tag meines Lebens in drei Jahren aussehen? Wer bin ich in fünf Jahren? Mit welchen Menschen, Aufgaben, Dingen umgebe ich mich in zehn Jahren?

Meine Hüte

Welche Hüte habe ich auf? In welchen meiner Rollen möchte ich welche Wirkung haben? Was möchte ich als Partnerin/Freundin/Mutter/Tochter? Was möchte ich als Kollegin? Welche Hüte will ich mir aufsetzen und welche wäre ich gern los?

Werte

Ich mache mir die Werte bewusst, die mir im Leben wichtig sind und überlege mir zu jedem Wert mindestens eine Option, wie ich ihn in Zukunft verwirklichen kann.

Warum will ich das? Wie ginge es noch?

Wenn ich bereits eine Reihe von Optionen generiert habe, dann frage ich mich für jede Option: Warum will ich das? Was ist da für mich drin? Was verspreche ich mir davon? Was ermöglicht mir das? Und dann: Wie könnte ich das anders oder leichter erreichen?

Hinweis an dieser Stelle für perfektionistische Menschen wie mich:
Dies ist ein Prozess, für den du gerade einen Zwischenstand erzeugst. Das ist nicht das Endergebnis. „Gut genug für jetzt“ reicht also tatsächlich aus, um weitermachen zu können!

2. Optionen auswählen

Oft habe ich schon recht klar, welche Optionen ich auswählen möchte, doch da ich mir meistens zu viel auf einmal vornehme, nutze ich gern einen der folgenden Ansätze, um eine deutliche Priorisierung vorzunehmen.

Ziel Nummer 1 / Goal #1

Welche Option ist mir die wichtigste? Welche hat Vorfahrt vor allen anderen?

Anzahl limitieren, parallel versus nacheinander

Heute weiß ich, dass zu viel parallele Arbeit mich ineffektiv macht (siehe Blogpost zu Personal Kanban). Das gilt auch für zu viele gleichzeitig ins Auge gefasste Ziele. Daher treffe ich eine bewusste Entscheidung, wie viele Optionen ich sinnvoll nebeneinander verfolgen kann. Dabei gibt es für mich einen Unterschied zwischen Langläufern (z. B. Coach werden) und kleineren in sich abgeschlossenen Projekten (z. B. Arbeitszimmer streichen). Für mich funktionieren parallel zwei bis fünf Langläufer und zwei bis drei Projekte ganz gut.

Ausbalancieren

Wenn ich beim Generieren von Optionen den „Meine Hüte“-Ansatz benutzt habe, kann ich an dieser Stelle auf die Verteilung der Optionen auf die Hüte schauen, um die gewünschte Balance herzustellen. Oder ich überlege mir jetzt beim Blick auf die Optionen, auf welche Werte sie in meinem Leben einzahlen und ob die wichtigsten Werte mit entsprechenden Optionen versehen sind.

Nein/Ja/Zum Teufel, ja!

Hier gehe ich meine Optionen durch und frage mich jeweils: Will ich das wirklich tun? Ich sortiere die Optionen in die drei Antwortkategorien Nein, Ja und Zum Teufel, ja! – letzteres steht für „Das will ich unbedingt machen, ich kann kaum abwarten, damit loszulegen“. Ich wähle nur Optionen aus dieser Kategorie aus oder überlege mir, wie ich die Ja-Optionen dorthin (oder in Nein) verschieben kann.

Optionen-Turnier

Ich lasse meine Optionen in einem Turnier gegeneinander antreten und entscheide jeweils, welche Option gewinnt, weil sie mir wichtiger ist als die andere. Wenn ich jede Option gegen jede andere Option antreten lasse, dauert das eine Weile; ich lasse dann ggf. die offensichtlich nicht so wichtigen zwischendrin aus dem Turnier ausscheiden.

3. Optionen konkretisieren und mit der Umsetzung starten

Wieder ein Hinweis an Perfektionistinnen und Perfektionisten: Es lohnt sich, mit der Umsetzung zu starten, auch wenn es noch keinen „perfekten“ Plan gibt. Oft muss das Ergebnis nicht perfekt sein, um die angestrebte Wirkung zu erzielen. Durchatmen und am perfekten „gut genug für jetzt“ arbeiten!

Wenn ich meine Optionen ausgewählt habe, muss ich sie ja „nur noch“ umsetzen. Das kostet allerdings Energie, ist manchmal unbequem und kollidiert regelmäßig mit meiner Faulheit, daher baue ich mir bewusste Hilfestellungen fürs Konkretisieren und Dranbleiben in meinen Alltag ein. Vielleicht bietet dir ja auch einer der folgenden Ansätze Unterstützung beim Umsetzen deiner langfristigen Absichten:

Regelmäßig reflektieren

Ich setze mir Termine in meinen Kalender, an denen ich reflektiere, wie weit ich mit meinen ausgewählten Optionen gekommen bin: Bin ich im Plan? Welche Probleme sind aufgetreten? Wie will ich diese be- oder verantworten? Die weiteren hier aufgeführten Techniken können dir bei deiner Reflexion helfen. Ich empfehle, so einen Termin alle zwei bis drei Monate durchzuführen.

ABSICHT, AUFMERKSAMKEIT, SICH STELLEN

Die drei Schlüssel zu Verantwortung helfen mir, meine Optionen umzusetzen: Ich formuliere meine ABSICHT möglichst klar und lenke meine AUFMERKSAMKEIT auf sie (z. B. über Visualisierungen oder Reflexionstermine). Bei Hindernissen STELLE ich MICH der Realität, dass ich noch nicht habe, was ich erreichen will und setze mich z. B. mit limitierenden Glaubenssätzen auseinander oder erforsche das Problem bis ich mehr Klarheit habe, um weitermachen zu können.

Was lasse ich sein?

Je weniger ich mir vornehme, umso höher ist die Chance einer erfolgreichen Umsetzung. Also frage ich mich: Was könnte ich sein lassen? Für jetzt oder bis ich ein Projekt abgeschlossen habe oder auch für immer?

Allianzen schmieden

Für manche Optionen ist mir direkt klar, dass ich sie nicht alleine umsetze. Für andere hilft es mir aber auch, mich zu fragen, mit wem ich eine Allianz schmieden könnte, um an ihr zu arbeiten. Verabredungen mit anderen halten die Spannung für mich hoch. Möglicherweise will ich mich dafür meinem Glaubenssatz stellen, dass Dinge mehr wert sind, wenn ich sie alleine schaffe.

WOOP

WOOP ist eine mentale Strategie aus der psychologischen Forschung (siehe WOOP-Homepage). Sie eignet sich vor allem für die Optionen, bei denen du eine Gefahr siehst, dass du sie nicht hinbekommst oder nicht ausreichend dranbleibst. WOOP ist das Akronym für:

  • W – Wish: Denke an deinen Wunsch und beschreibe ihn.
  • O – Outcome: Stelle dir das schönste Ergebnis vor, das dieser Wunsch erzielen kann.
  • O – Obstacle: Was könnte dir beim Erfüllen des Wunsches im Weg stehen?
  • P – Plan: Was tust du, wenn diese Hindernisse auftreten? Mache einen Plan, welche Schritte du konkret unternimmst, wenn so eine Hürde auftaucht.

Die Idee ist, bei jedem Schritt jeweils eine kurze Antwort von drei bis sechs Worten zu finden.

Stärken nutzen

Zum Erreichen meiner Ziele, erweisen mir meine Stärken einen wertvollen Dienst. Dafür halte ich meine Stärken präsent, um bei jeder Option parat zu haben, welche meiner Stärken mir behilflich ist, um die Option umzusetzen. (Es gibt viele Anbieter, die über Fragebögen Stärken-Profile erstellen – für mich ist Strengths Profile der Favorit, weil sie sehr differenziert auf Stärken schauen und viele konkrete Anregungen mitliefern.)

The Responsibility Process unterstützt bei allen drei Schritten

Sowohl für das Generieren also auch fürs Auswählen und Umsetzen meiner Optionen ist meine Selbstführung gefragt. Denn meine Ziele erreiche ich nur, wenn ich es will und wenn ich mich ermächtigt, kraftvoll und befähigt fühle, an ihrer Erreichung zu arbeiten. The Responsibility Process ist für mich das Selbstführungswerkzeug, das dabei den größten Effekt hat. Die Beschäftigung mit diesem Modell ermöglicht es mir, mich häufiger im mentalen Zustand VERANTWORTUNG aufzuhalten, in dem ich kreativ und kraftvoll mein Leben in Besitz nehme und mehr von dem bekomme, was ich will.

„Der Mensch ist ein zielstrebiges Wesen,
aber meist strebt er zu viel und zielt zu wenig.“

Günter Radtke

Weiterführende Links/Literatur

Christopher Avery: The Responsibility Process – Wie Sie sich selbst und andere wirkungsvoll führen und coachen

  • Übung zu »Nein/Ja/Zum Teufel, ja« ab S. 171
  • Übung zu Werten ab S. 159
  • ABSICHT, AUFMERKSAMKEIT, SICH STELLEN: Die drei Schlüssel zur Verantwortung ab S. 107 (inkl. Reflexion/Übungen)

Esther Derby/Diana Larsen: Agile Retrospektiven (eigentlich für Teamkontext gedacht, liefert aber viel Inspiration für systematische persönliche Reflexion)

Jim Benson/Tonianne DeMaria Barry: Personal Kanban – Visualisierung und Planung von Aufgaben, Projekten und Terminen mit dem Kanban-Board (liefert insbesondere Hinweise auf WIP-Limits, Balance, Flow)



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